Der Magdalenenhof in Sonnenham,
Ende der 50er Jahre

- eine Wirtin entdeckt den Tourismus (70 Einwohner, bis zu 150 Gäste) und ein Hund als Animateur -
 

"Urlaub in Oberbayern, am Fuße des Wendelsteins, Heimatabende, Freibad 10 Minuten entfernt, Vollpension 7,50 DM" so stand es im Jahre 1957 in der Beerliner Morgenpost, die mein Stiefvater uns eines Morgens vorlas.
Nachdem wir in den Jahren 1954 und 1955 im Schwarzwald - in Schapbach - und in Nußdorf am Bodensee waren, stand fest, der diesjährige Urlaub geht nach Oberbayerrn in den Magdalenenhof. Das Inserat war zu verlockend und bei den Preisen (!), meinten meine Eltern.

So fuhren wir im Juli 1956, das Auto, unser neuer VW Ovali, vollgepackt bis in die Reserverad-Mulde, eines Morgens in Berlin los, warteten an der Grenze zur Besatzungszone wie die anderen Westberliner, und kamen über München - eine Umfahrung gab es damals noch nicht - abends in Sonnenham an, wo uns die Wirtin, Frau Magdalene Ellmayr vom Magdalenenhof auf das herzlichste begrüßte und uns ein Zimmer im Gasthof zuwies.
Festzustellen war jedoch, dass Sonnenham nicht am Fuße des Wendelsteins lag, aber der herzliche Empfang liess diese kleine Lüge im Inserat vergessen.
Um die Füße zu vertreten, planten meine Eltern mit mir und Purzel (unsere Dackelhündin) einen kleinen Spaziergang, um Sonnenham zu erkunden. Uns schloss sich der Hochstamm-Dackel des Hauses an, Pürschi, wie wir am Abend noch erfuhren.
So gingen wir nach Norden Richtung Dettendorf, wo unser "Gästeführer Pürschi" nach links einbog. "Wenn der den Weg kennt, dann gehen wir einfach mit ihm" meinte mein Papa. Und so wanderten wir mit Pürschi - oder er mit uns - durch den Wald nach Eulenthal und kamen wieder nach Sonnenham zurück.
Freudig erzählten wir am Abendbrottisch den anderen Gästen - die Wirtststube war voll mit Gästen aus Berlin, dem Rheinland und sogar Holland - dass Pürschi mit uns einen Spaziergang gemacht habe. "Das macht er mit jedem neuen Urlauber - aber nur
einmal ", tönte es von den anderen Tischen. Pürschi war also nicht nur Animateur, er war der erste Gästebetreuer (für die neuen Sommerfrischler).
Meine Mutter hatte gleich die Bekanntschaft mit einer Mutter mit zwei hübschen Töchtern aus Berlin-Wilmersdorf gemacht, so dass wir nach dem Frühstück am nächsten Morgen nach dem Freibad fragten.
Wir sollen nur mit dem Auto den Weg nach Dettendorf einschlagen, vor der Autobahn ist das Freibad an einer Bachtreppe. Nach weniger als 10 Minuten sahen wir schon einige Gäste des Magdalenenhofes und waren somit an dem "Freibad" angelangt.
Dies war natürlich nicht das Freibad nach unserer Vorstellung, aber die anderen Gäste amüsierten sich auch über das Inserat, die Stimmung war gut und so hatten wir unseren Spass, den wir in einem richtigen Freibad vielleicht nicht gehabt hätten.

Sobald abends neue Gäste eintrafen, bot sich den vorhandenen Urlaubern immer wieder das gleiche herzerfrischende Schauspiel:
"Guten Tag, wir sind Schulze aus Berlin und haben bei Ihnen zwei Zimmer bestellt." Da der Magdalenhof aber nur über 12 Betten verfügte, wurden die Gäste im Umkreis von 5 km auf die Bauernhöfe verteilt, was wir zwar schon mitbekommen hatten, die neuen Gäste aber noch nicht. In Erwartung der Schlüssel für die Zimmer, sagte Magdalena - wie immer und nicht nur einmal am Tag: "Dös hamma gleich", fahren' S mir nur nach". Und so fuhr Magdalena im Opel Olympia voraus, die Gäste hinerher. Am Abend kamen die Gäste von ihrem Bauernhof zu uns, denn Frühstück, Mittagessen und Abendbrot gab es im Magdalenenhof. Bei Ganztagsausflügen (Chiemsee, Schliersee, Tatzelwurm und Sudelfeld) gab es Lunchpakete.

Was war nun das Besondere am Magdalenenhof? Einmal in der Woche gab es den "Heimatabend", der von den jungen Sonnenhammern gestaltet wurde. Von den Fellers spielte Irgl die diadonische Ziehharmonika, Hartl war der Vorplattler, seine Partnerin war Resi. Höhepunkt des Abends war der "Bankltanz" bei dem eine Stubenbank die Hauptrolle spielte. Sie mußte passend zur Musik von zwei Teilnehmern besetzt, angehoben und übersprungen werden, was zu der schnellen Musik schon etwas "Akrobatik" verlangte. Nun waren die Gäste dran: Einer hob die Bank, während der andere sich noch setzen wollte; es stimmte einfach nicht die Reihenfolge. Besonders intensiv war unser "fliegender Holländer" bei der Sache.
Spätestens nach dem Bankltanz waren alle Gäste verbrüdert und verabredeten sich für die nächsten Tage zu gemeinsamen Ausflügen.
Wir hatten uns mit drei Vätern und deren drei Söhnen zu gemeinsamen Ausflügen zusammengetan. Alle drei hatten je einen Milch- und Lebensmittelladen in Berlin wie wir, also sogenannte "Milchplenscher". Einer hatte das Aussehen und die Bewegungen eines Grafen, der andere war schnell zum passenden Diener "Johann" geworden.
Eine Begeneheit war besonders amüsant.
Wir amen nachmittags mit unseren Käfern in Bayrischzell an, gingen in ein Cafe und sahen zu unerer Enttäuschung, dass alle Plätze von Urlaubern belegt waren. Plötzlich tönte es in die Stille im Cafe: "Johann, haben Sie etwa nicht reserviert?". " Herr Graf, ich hatte reserviert". Alle schauten auf unsere Gruppe, insbesondere auf unseren "Grafen". Mit einer Enschuldigung sah sich die Bedienung schnell um und kassierte einen Tisch ab, da die Gäste anscheinend gehen wollten.

So war der Urlaub in Sonnenham für alle "das Erlebnis". Die jungen Sommerfrischler fuhren auf dem Traktor mit den Bauern auf die Felder, durften selbst einmal lenken, während die Eltern, befreit von den Kindern, gemeinsame Ausflüge unernahmen. Abends wurde in froher Runde von den Erlebnissen erzählt und gemeinsam wurde auf die neuen Urlauber gewartet, die Magdalena mit ihren beruhigenden Worten "dös hamma gleich" zu ihren Quartieren um Sonnenham herum kutschierte.

Einige Jahre ging das noch so weiter, die Tochter hatte jedoch nicht viel Spass an dem quirligen Job und so verfiel Sonnenham wieder in den Dornröschenschlaf, aus dem Magdalena Ellmayr diesen oberbayerischen Sonnenflecken für einige Jahre geholt hatte.


Bertold Jetschke beim Ernte-Einsatz in der Nähe von Sonnenham 1959

Landsberg, im April 2006